19.01.2012

Eine alltägliche Geschichte?


Es ist Freitag früher Nachmittag, die Pendenzen sind mehrheitlich erledigt, zwei, drei Sachen noch, dann ist Feierabend. Einem gemütlichen Abend und einem erholsamen Wochenende mit der Familie steht nichts mehr im Wege. Ihre Frau hat für heute wichtige Gäste eingeladen und Sie mit der Weinauswahl betraut. Eigentlich wie immer. Sie wollen einen schönen Bordeaux dekantieren und ihn noch ein wenig atmen lassen. Schliesslich möchten Sie einen ebenso schönen Wein präsentieren können, wie Sie beim letzten Mal bei Hugentoblers[1] vorgesetzt bekamen. Also jetzt schnell noch das Editorial für die Hauszeitung schreiben und dann pünktlich nach Hause, sonst ist der Ärger vorprogrammiert.

So, und nun sitzen Sie bereits eine geschlagene Viertelstunde vor dem weissen, makellosen Papier. Gedanklich haben Sie schon unzählige Varianten durchgespielt, wie Sie das Thema anpacken könnten. Aber alle wieder verworfen. Langsam werden Sie etwas unruhig und nervös. Sie haben sich eine Stunde eingeräumt. Mehr sollten Sie dafür nicht benötigen.

Nach einer halben Stunde schaut Ihre Sekretärin so beiläufig wie möglich in ihr Büro und tut so, als ob sie sonst noch was erledigen müsste. Aber Sie merken schon, dass sie diskret schauen will, wo denn der handschriftliche Text bleibt. Sie muss ihn dann ja noch „abtöggelen“ und formatieren. Sie machen dies gerne so, weil ihre geschätzte Frau Rothenbühler immer noch viel zuverlässiger alle Rechtschreibefehler eliminiert, als das Rechtschreibeprogramm von Microsoft. Und dann sind die Kommata auch noch gleich richtig gesetzt.

Frau Rothenbühler merkt sofort, dass ihr Chef zeitlich nicht gut unterwegs ist und verzieht sich wieder mit einem missbilligenden Seitenblick. Sie hat Ihnen heute anvertraut, dass sie am Abend einen wichtigen Termin habe und gerne pünktlich gehen würde. Also, der Artikel muss nun endlich raus. Sie stehen unter Druck. Für eine Führungskraft in Ihrer Position nichts Ungewöhnliches. Das ist daily business. Und normalerweise leisten Sie am meisten, wenn Sie unter Zeitdruck stehen.


Aber es ist wie verhext. Es kommt einfach nichts. Keine Silbe steht da, wo ein ganzer Artikel stehen sollte. In ihrem Kopf geht’s drunter und drüber, kein klarer Gedanke mehr. Die Synapsen führen ein wildes Ballett auf, anstatt sich paarweise zu verbinden und endlich Text zu produzieren.

Dreiviertelstunden sind vorbei, das Blatt ist leer und Sie haben den Eindruck, dass sich jede einzelne Papierfaser lustig über Sie macht. Sie könnten in die Tischkante beissen und wünschen den VR-Präsidenten irgendwohin. Herr Rüdisühli hat Ihnen diese Aufgabe noch schnell „angehängt“, bevor er gestern ins verlängerte Golfweekend abgereist ist. Wut und Frust bauen sich langsam in Ihnen auf und als Frau Rothenbühler mit Unschuldsmine mit der Giesskanne in Ihr Büro reinplatzt, platzen auch Sie fast. Aber eben nur fast! Frau Rothenbühler hat nun ja wirklich keine Schuld an Ihrer Misere, sie hat nur das Pech, auf Sie warten zu müssen.

Sie behalten Ihre Emotionen im Griff und reagieren angemessen. Sie wissen eigentlich genau, was in Ihnen abläuft, was die Ursachen für Ihre Stimmung sind, was sich da aufgestaut und zusammengebraut hat. Das ist Ihre Geschichte und mit der kommen Sie auch zurecht. Sie teilen der überraschten Frau Rothenbühler mit, dass sie den Text gleich selber tippen und formatieren werden. Sie solle doch jetzt für heute Schluss machen, damit sie rechtzeitig zu ihrem Termin komme.

Sie selbst atmen dreimal tief durch, sind ein wenig stolz auf sich, dass Sie die Situation so souverän geregelt haben und gehen in sich. Sie besinnen sich, wie Sie früher solche Artikel aufgebaut haben. Setzen sich nochmals hin, machen ein Raster, fangen mit ein paar einfachen Sätzen an und plötzlich läuft‘s wie am Schnürchen. Ihr Kopf ist frei, Sie sind wieder der Alte und Ihre Energie fliesst in ein gelungenes Editorial.

Die Tischkante bleibt unversehrt, der Wein kommt rechtzeitig in die Karaffe und Frau Rothenbühler hatte ein erfolgreiches Date, wie sie Monate später noch erfahren werden. Emotionale Kompetenz hat viele Facetten und kann viel bewirken!

Bis bald

Simon Streit
p.s. Haben Sie übrigens das letzte Editorial in Ihrer Hauszeitung gelesen?


EQ-Blog@iek.ch

[1] Alle Namen sind frei erfunden

04.01.2012

Schnäppchenjagd

Wer bereits einmal in Fort Lauderdale gewesen ist, der kennt bestimmt das Sawgrass Mall: überdimensioniert, unendlich gross, ein Paradies für Schnäppchenjägerinnen. Jeder Reiseführer bezeichnet den Besuch dieses Shopping-Paradieses als ein „Must“. Nur damit die Dimensionen klar sind: ein klassisches Schweizer Einkaufszentrum würde wohl mindestens 20 Mal dort reinpassen.

Ich betrachte mich in aller Regel als „ausverkaufs-resistent“ und funktioniere eher nach dem Motto „weniger ist mehr“. So entpuppte sich der Start meines Besuchs in der Mall als eine leichte Überforderung. Es war kurz vor Weihnachten und „Frosty the snow man“ (Americas’s number one Christmas Song) begleitete nicht nur meine ersten Schritte, sondern dudelte den ganzen Tag durch die Lautsprecher. Leicht distanziert und vielleicht auch eher etwas „über der Sache stehend“ marschierte ich den ersten Schaufensterfronten entlang und dachte mir einmal mehr, wie unterschiedlich die Amerikaner doch sind… bis ich dann in weiter Ferne den Schriftzug in leuchtendem Pink von „Victoria’s Secret“ (dem Traum jeder Frau) entdeckte. Mein Herz machte ohne mein aktives Dazutun einen Sprung und das Tempo meiner Schritte erhöhte sich gewaltig.


Stunden später – im Food-Corner bei Bier und Salat (wobei der obligate Burger hier wohl adäquater gewesen wäre, aber mein schlechtes Gewissen dies dann doch nicht zuliess) und umgeben von vielen bunten Plastiktüten – überkam mich das wohl den meisten Frauen bekannte „After-Shopping-Gefühl“ der völligen Zufriedenheit. Jetzt fehlte nur noch die genüssliche Zigarette, die ich mir dann ebenfalls so richtig genüsslich hätte reinziehen können. Wie schade, dass ich dieses Laster vor 10 Jahren aufgegeben habe.

Ich weiss, ich weiss: Egal ob Konsumsucht oder Nikotinsucht – dies sind, streng psychologisch betrachtet, alles Dinge, die uns längerfristig unglücklich machen. Es sind letztlich untaugliche Versuche, mit der Angst vor der inneren Leere zurechtzukommen bzw. diese zu überdecken. Doch manchmal sind solche „psychologischen Sünden“ einfach wunderbar! Die guten Vorsätze kann man ja nachher wieder befolgen.

Happy New Year!

Karin Grisenti Schneider

EQ-Blog@iek.ch