07.04.2015

Generation der Liegenden - emotionale und intellektuelle Verarmung?


Jede Generation findet Wege, ihre Eltern bis aufs Blut zu reizen. In den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts provozierte die Jugend die Erwachsenen mit wilden Rhythmen und lasziven Hüftschwüngen, in den 60er mit langen Haaren und Haschischkonsum, in den 70er mit Sicherheitsnadeln in den Ohren und farbigen Haaren und in den 80er Jahren… das kann der Autor, Jahrgang 1966, aus Befangenheit nicht objektiv beurteilen.

Heute wächst eine neue Spezies heran: die Liegenden. Im gleichnamigen Roman von Michele Serra[1] beobachtet ein Vater irritiert seinen 18-jährigen Sohn. Dieser hat sich auf dem Sofa eingerichtet, Kopfhörer auf den Ohren, Laptop auf den Knien, in der einen Hand das Handy, in der anderen die TV-Fernbedienung – ein Liegender. Der Vater setzt sich neben ihn, versucht zu begreifen, was im Kopf seines Sohnes vorgeht. Was nimmt er wahr, was dem Erwachsenen entgeht? Und wofür ist er blind? Der Vater schildert die Befremdung, die er beim Anblick seines Sohnes empfindet, die Konflikte, die er mit ihm austrägt. Wie, fragt er sich, kann die Kluft überwunden werden? Mit einer gemeinsamen Bergwanderung? Reaktion: Kein Bock. Eine Weinlese? Wird verschlafen.

Auch wenn hier vieles literarisch überspitzt daherkommt: Dem Autor dieses Blogs, Vater von 2 pubertierenden Modis, kommt vieles nicht unbekannt vor. Längst sind die Zeiten vorbei, wo man als Eltern mit lustigen Youtube-Tiervideos Eindruck schinden konnte. Auch den Anspruch, den Kids in Bezug auf Handy-Konfigurationen und Geräteeinstellungen technisch etwas vorzumachen, ist längst aufgegeben. Vom gleichzeitigen Einsatz unterschiedlichster Medien und der permanenten Vernetzung mit der halben Welt in Form von Kurz- und Ultrakurznachrichten bzw. Likes und Dislikes ganz zu schweigen. Nur wenn das W-LAN mal nicht funktioniert (was ob der obsessiven Nutzung regelmässig vorkommt) bzw. aus pädagogischen Gründen gesperrt ist, ist im Haus die Hölle los.

Nun könnte man annehmen, dass ein derartig exzessiver Medienkonsum zu einer emotionalen und intellektuellen Verarmung der Anwender führt (ähnliche Vermutungen wurden früher bereits bezüglich des Comics-, Musik- und Fernsehkonsums von Heranwachsenden angestellt). Allerdings ist das Gegenteil zu beobachten: Immer wieder bin ich über das Wissen meiner Kids zu aktuellen Themen und Zusammenhängen erstaunt – das, obwohl diese nie ein entsprechendes Stück Papier in Form eines Buches oder einer Zeitung in den Händen gehalten hatten.

Ist die Generation der Liegenden also zu retten? Noch ist die Rede von der Generation X und der Generation Y. Dabei hat sich gezeigt, dass sich diese Generationen bezüglich ihres konkreten Verhaltens im Lebens- und Arbeitsalltag nicht so stark voneinander unterscheiden, wie häufig angenommen worden war. Das wird sich in Zukunft auch nicht ändern. Was sich aber mit Sicherheit weiter verändern wird, sind die Art der Kommunikation, die Art der Informationsbeschaffung und die Verwendung von unterschiedlichen Kommunikationsmitteln. Darauf mache ich mich als Vertreter der Generation ü40 bereits heute gefasst, wobei ich von meinen Kids hervorragend begleitet werde.

Bis bald

Christian Hofer



EQ-Blog@iek.ch










[1] Michele Serra: Die Liegenden, Diogenes Verlag Zürich 2014