26.09.2012

Wie mach ich mein Kind sozial kompetent?


"Ruben, lass die Lokomotive los, Jann hat sie zuerst gehabt! Du hast doch jetzt das Flugzeug, nachher könnt ihr tauschen." Ruben: "Nein, die Loki gehört mir!" "Jann, dann nimm du den Kipplaster, mit dem kannst du den Waggon beladen …" Jann (tobend): "Neeiiiin, ich habe die Loki gehabt!" "Guck mal, Ruben, jetzt weint Jann. Jetzt gib sie ihm doch zurück. Er will sie sich nur anschauen, du hast sie ja immer … Ruben, nein!!! Hör auf, Jann zu hauen, hauen ist nicht gut! Jetzt reicht es, jetzt nehme ich das blöde Ding weg …" Ruben (wild um sich schlagend, brüllend): "DU bist blöd!!"
Kennen Sie diese ärgerlichen Momente, in denen alle Versuche, Kindern ein ­Minimum an Kooperationsbereitschaft abzuringen, genau das Gegenteil bewirken? Befragt man eine repräsentative Auswahl von Müttern, so klagt immerhin gut die Hälfte über das Sozialverhalten ihrer Sprösslinge. Der Nachwuchs will nichts abgeben, gebärdet sich rabiat, aggressiv oder aber ängstlich, eigenbrötlerisch und schüchtern.

Mag sein, dass Erwachsene manchmal zu früh zu viel erwarten. Phasen von Besitzgier, von Fremden- und Trennungsangst, Trotz- und Wutanfällen inklusive körperlicher Aggressivität gehören zur normalen kindlichen Entwicklung. Von sozial auffälligem Verhalten kann also in obigem Fall nicht die Rede sein – sofern dieses nicht die Regel ist. Aber wie werden Kinder sozial kompetent? Die Grundlage für den Erwerb sozialer Kompetenzen wird – so meinen die ExpertInnen - bereits in frühester Kindheit gelegt, nämlich, wenn sich Mutter oder Vater (oder nahe Bezugspersonen) tagtäglich liebevoll mit dem Baby befassen. Damit Sie aber als Eltern nicht gleich wieder ein schlechtes Gewissen kriegen: Die ExpertInnen sagen auch, dass nicht automatisch die Eltern "schuld" sind, wenn ein Kind soziale Regeln ignoriert. Mitunter können genetisch bedingte Störungen sowie eine lange Reihe von Risikofaktoren dafür verantwortlich sein, dass Kinder die Gefühle anderer schlecht deuten können.

Grundsätzlich lernen Kinder aber durch Kennenlernen der eigenen emotionalen Welt, d.h. durch erkennen und ‚zuordnen lernen‘ von eigenen Emotionen. Weiter durch sich-in-den-anderen-reinversetzen (Perspektivenwechsel) und durch erlernen von Lösungsstrategien in sozial schwierigen Situationen (wie bspw. Konflikten). Die Eltern (bzw. nahe Bezugspersonen) des Kindes dienen im Laufe der Entwicklung sowohl als Modell als auch als "Spiegel des Selbst des Kindes". Sie lehren das Kind mit schwierigen Verhaltensweisen umzugehen und welche Regeln im sozialen Kontext gelten; sie spiegeln dem Kind, wie es ist und wie sein Verhalten auf andere wirkt. Dass man sich dabei als Eltern x-fach wiederholen muss, scheint mühsam aber unabdingbar zu sein: "Es ist wichtig, dass Erwachsene den Kindern immer wieder Feedback und Anleitung beim Umgang miteinander geben, auch wenn man das Gefühl hat, sich zum hundertsten Mal zu wiederholen", meint der Psychologe Franz Petermann*.

Nochmals zurück zu der weiter oben geschilderten Situation: Viele Eltern sind der Meinung, dass sie bspw. bei Konflikten nicht eingreifen dürfen, nach dem Motto: Die Kids müssen das unter sich regeln. "Das funktioniert nicht", widerspricht der Psychologe. Gerade die Kleineren seien damit emotional überfordert. Je jünger das Kind, desto unmittelbarer müssen Erwachsene vielmehr beim Verstoß gegen soziale Regeln reagieren. "Kinder brauchen die Orientierung – sie wollen immer wieder wissen: Ist das jetzt gut oder schlecht? ". Die Eltern nehmen in diesem Sinn eine wichtige Rolle bei der Herausbildung des Selbstverständnisses und des Selbstwertes des Kindes ein. Qualitäten, die eine zentrale Rolle spielen in Bezug auf die Kompetenz, sich in sozialen Kontexten bewegen zu können.

Wer ein paar weitere Tipps möchte, um seinem Nachwuchs soziale Fertigkeiten zu vermitteln, hier eine kleine Auswahl nach Empfehlungen von PsychologInnen der Universität Bremen:

Tipps für Eltern zur Förderung der sozialen Kompetenz bei Kindern

Ab dem Kindergartenalter:
  • Erzählen Sie Ihrem Kind, wann Sie selbst froh, wütend oder traurig waren, und zeigen Sie ihm, wie Gefühle bei Ihnen aussehen und sich anhören.
  • Fragen Sie Ihr Kind, wann es froh, wütend oder ängstlich war.
  • Fragen Sie es, welche Möglichkeiten es gibt, ein Problem zu lösen.
  • Lassen Sie Ihr Kind begründen, warum eine Lösung gut oder weniger gut ist.
  • Spielen Sie gemeinsam gute Lösungsmöglichkeiten im Rollenspiel nach.
  • Seien Sie ein Vorbild im Umgang mit anderen Menschen.

Ab dem Grundschulalter:
  • Ermutigen Sie Ihr Kind, Konflikte in drei Stufen zu überdenken: Was ist eigentlich passiert?
  • Was kann man dagegen tun (Ideen sammeln)? Welche Lösung ist am besten für alle Beteiligten?
  • Fairness: Suchen Sie zusammen mit Ihrem Kind praktische Beispiele für die Regel: "Ich behandle dich so, wie ich selbst behandelt werden möchte."
  • Regen Sie an, Verantwortung für eigenes Fehlverhalten zu übernehmen. Führen Sie für alle Familienmitglieder die 4-E-Methode ein: Eingestehen, Erklären (warum man sich so verhalten hat), Entschuldigen, Entschädigen ("Was kann ich tun, um das wieder gutzumachen? ").

Bis bald

Ursula Stalder

EQ-Blog@iek.ch

--
*FRANZ PETERMANN leitet das Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation an der Universität Bremen

12.09.2012

Wie empathisch müssen Führungskräfte sein?


Spätestens seit Daniel Goleman den Begriff der emotionalen Intelligenz (= EQ) mit seinen Bestsellern populär gemacht hat, ist in jedem Handbuch über Leadership, in jedem Führungskurs und in fast jedem Stelleninserat von Empathie – als einem zentralen Wesensmerkmal von EQ – die Rede. Doch was ist damit eigentlich genau gemeint und wie empathisch sollten Führungskräfte tatsächlich sein? In Anlehnung an einen äusserst spannenden Gedankenaustausch[1] zwischen zwei Experten mit ganz unterschiedlichem kulturellem Hintergrund werde ich dieser Frage in der Folge etwas nachgehen.

Als sich seine Heiligkeit der Dalai Lama und der renommierte amerikanische Psychologieprofessor und Emotionsforscher Paul Ekman zum ersten Mal trafen, entwickelte sich zwischen ihnen eine bemerkenswerte Beziehung. Zum Glück hatten die beiden nicht allzu sehr auf die Warnungen gehört, die man ihnen vor ihrem ersten Treffen zukommen liess: Während der Dalai Lama von Buddhisten aus Amerika zu besonderer Vorsicht ermahnt wurde, weil die „Wissenschaft der Totschläger der Religion“ sei, meinten einige Kollegen aus dem wissenschaftlichen Umfeld zu Paul Ekman: „Sprechen Sie nicht mit dem Dalai Lama. Er wird Sie als Wissenschaftler ruinieren – und Sie werden spirituell werden!“ Und so kam es zu mehreren Treffen, in denen sich die beiden austauschten und in einen intensiven Dialog über Wissenschaft und Spiritualität, über östliche und westliche Denkansätze traten. Dabei haben sie sich unter anderem auch über das Wesen des Mitgefühls unterhalten:

Jede Diskussion mit dem Ziel, mehr Klarheit über ein komplexes Thema zu gewinnen, beginnt mit einer begrifflichen Klärung. So auch hier: Paul Ekman schlägt vor, vom Begriff der Empathie einmal abzusehen und ihn durch vier präzisere Begriffe zu ersetzen:
  1. Das „Erkennen einer Emotion“: Gemeint ist damit beispielsweise die Fähigkeit zu erkennen, wenn eine andere Person leidet. Um empathisch sein zu können muss ich das Gefühl kennen. Denn ich kann nicht an den Gefühlen einer anderen Person teilnehmen, wenn ich nicht weiss, um was für Gefühle es sich handelt.
  2. Die „emotionale Resonanz“: Dies bedeutet, die Emotion des andern ebenfalls zu spüren, was über das reine Erkennen hinaus geht. Um fühlen zu können, was der andere fühlt, muss ich zwar zunächst das Gefühl erkennen. Aber umgekehrt führt nicht jedes Erkennen zwangsläufig dazu, dass ich es fühle.
  3. Das „Mitgefühl“ ist schliesslich der dritte Begriff, den man unterscheiden sollte: Beim Mitgefühl habe ich den Wunsch, das Leiden der andern Person zu lindern. Wenn ich das Leiden nicht erkannt habe, werde ich nicht wissen, dass die andere Person leidet und somit werde ich auch kein Mitgefühl entwickeln. Ein reines Erkennen führt umgekehrt jedoch nicht zwangsläufig zum Mitgefühl. Ich kann ja beispielsweise das Leiden einer andern Person nicht so wichtig nehmen. Schliesslich könnte man die „emotionale Resonanz“ als Motivationsfaktor bezeichnen, um Mitgefühl zu empfinden. Wenn ich direkt spüre, wie jemand leidet, kann mich dies dazu motivieren zu handeln, um das Leiden zu reduzieren. Und ein letzter wichtiger Gedanke dazu: Ich habe die Möglichkeit, einzig durch das „Erkennen der Emotion“ Mitgefühl zu empfinden. Die „emotionale Resonanz“ ist somit nicht eine zwingende Voraussetzung, um „Mitgefühl“ entwickeln zu können.
  4. Zum Schluss kommt Daniel Ekman auf den Begriff des „Altruismus“ zu sprechen. Damit meint er das Mitgefühl, welches dazu führt, dass ich das Leid der andern Person zu lindern versuche und dabei auch gewisse Risiken für das eigene Wohlergehen in Kauf nehme. Ich helfe dem andern – und gefährde mich dabei selbst.

Damit sind die verschiedenen Aspekte von Empathie genannt. Man könnte es sich nun einfach machen und behaupten, dass emotional intelligente – und somit empathische – Führungskräfte über all die oben aufgeführten Eigenschaften verfügen sollten. Doch dies wäre weder besonders klug noch allzu realistisch, zumindest wenn man den Gedanken nicht noch etwas weiter entwickelt.

Dies haben auch die beiden Gesprächspartner getan, indem sie der Frage nachgegangen sind, inwiefern man durch ein Übermass an „emotionaler Resonanz“ sowohl sich selbst als auch seinem Umfeld nicht auch schaden könne. Als Beispiel unterhielten sie sich über die Krankenschwester in einem Spital für krebskranke Kinder. Würde die Krankenschwester all das Leid dieser Kinder und deren Eltern mitfühlen, wäre sie vermutlich bald nicht mehr arbeitsfähig und würde ausbrennen. Sie braucht daher zusätzlich etwas, was der Dalai Lama die „unterscheidende Bewusstheit“ nennt. Dabei geht es um eine innere Balance, um ein Gleichgewicht zwischen Mitgefühl und Weisheit. Nach dem buddhistischen Verständnis besteht die Rolle der „unterscheidenden Bewusstheit“ darin, dass „zwischen den unterschiedlichen Geisteszuständen eine Art von Konfliktlösung“ erreicht wird. Gemeint ist damit die Fähigkeit, bei Bedarf die eigene „emotionale Resonanz“ zurücknehmen zu können, um handlungsfähig zu bleiben. Anstatt zusammenzusitzen und gemeinsam zu weinen, tut man sein Möglichstes, um die Situation für alle zu verbessern. Wenn Kündigungen ausgesprochen werden müssen, um die Zukunft des Unternehmens zu retten, dann ist es wichtig, eine gewisse Distanz zur eigenen emotionalen Betroffenheit einzunehmen, um die richtigen Entscheide in die Praxis umzusetzen.

Folgt man der Argumentation des Dalai Lama, dann verfügen emotional intelligente Führungskräfte einerseits über Demut – d. h. sie sind in der Lage, „das Gefühl des Ichs oder der Bedeutsamkeit der eigenen Person abzubauen“ bzw. zu relativieren. Andererseits haben sie den nötigen Mut bzw. „das Bedürfnis, zum Vorteil anderer zu wirken“. Diese beiden sich allem Anschein nach zu widersprechenden Zustände – Mut und Demut – gilt es miteinander in Einklang zu bringen. Dies geschieht durch die Anwendung der Weisheit.


Bis bald

Bob Schneider

EQ-Blog@iek.ch

--
[1] Dieser Dialog wurde im Jahr 2008 in Buchform herausgegeben und später ins Deutsche übersetzt. Titel der deutschen Übersetzung: Gefühl und Mitgefühl – Ein Dialog zwischen dem Dalai Lama und Paul Ekman. Aus dem Englischen übersetzt von Dr. Matthias Reiss, Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg 2009