17.01.2013

Können Introvertierte führen?


Organisiert sich eine Arbeitsgruppe neu beispielsweise im Rahmen von Workshops, Jurys usw., so wird nach meinen Erfahrungen fast immer eine extrovertierte Persönlichkeit ihr Sprecher und „Anführer“, nicht nur, weil sich diese Person selber geeignet für diese Rolle sieht, sondern auch, weil die anderen diese Person dort sehen.

Als eher introvertierte Personen dagegen hinterlasse ich eher eine andere Wirkung und höre zwischendurch auch Ratschläge wie:
  • “Du musst Dich besser verkaufen. Mehr aus Dir raus gehen.”
  • “Du bist so ruhig. Stimmt was nicht?”
  • “Als Führungskraft müssen Sie brennen, ein Vorbild sein, Ihre Leute begeistern.”

Wir entwickeln uns immer mehr zu einer extrovertierten Gesellschaft nach amerikanischem Vorbild. Auch meine Kinder in der Schule werden schon stark danach beurteilt, ob sie vor der Klasse Vorträge halten, schlagfertige Antworten geben und gut rüberkommen können, was dann bei Elterngesprächen zu Rückmeldungen führt wie: „A. sollte sich mehr melden … sich weniger zurückhaltend zeigen …“

Jede und jeder soll charismatisch wirken, andere mitreissen, den Schein des Rampenlichts nutzen können. Extrovertierten entspricht das, es ist ihre Natur. Für Introvertierte ist das aber deutlich schwerer, es entspricht nicht ihrem Naturell und sie fühlen sich dann möglicherweise auch minderwertig, den Anforderungen nicht gewachsen.

Das Buch “Still. Die Bedeutung von Introvertierten in einer lauten Welt”[1] von Susan Cain setzt sich u.a. auch kritisch mit dem Mythos des charismatischen Führers auseinander. Sie hat einige Unterschiede zwischen Introvertierten und Extravertierten herausgearbeitet und mit Studien belegt. Das Buch macht Introvertierten Mut, die eigene Introversion zu erkennen und anzunehmen, hilft aber auch Extrovertierten, ihre Mitmenschen besser zu verstehen. Introvertierte haben ihre eigenen besonderen Stärken. Aufgrund dieser Stärken können sie – um die Frage im Titel zu beantworten – ebenfalls gute Führungskräfte sein:
  • Sie können gut zuhören. Eine Fähigkeit, die nicht nur für Verkäufer, Verhandler und Mediatoren von zentraler Bedeutung ist.
  • Sie sind unabhängig von der Meinung anderer. Im Gegensatz zu Extrovertierten laufen Introvertierte nicht so leicht Gefahr, anderen gefällig sein zu wollen.
  • Sie sind vorsichtig. Das schützt auch vor allzu schnellen Urteilen.
  • Sie können sich konzentrieren. Während Extrovertierte dazu neigen, Dinge halbfertig liegen zu lassen, bleiben “Leise” bei der Sache.
  • Sie verbreiten Ruhe und können analytisch denken. Besonders in schwierigen Situationen schätzt man diejenigen, die den Überblick behalten.
  • Sie können in der Regel gut schreiben.
  • Und sie sind beharrlich. Ein Grund, warum so viele Introvertierte in gehobenen Positionen zu finden sind. Denn Beharrlichkeit ist die eine, wesentliche Voraussetzung für Erfolg!

Natürlich bringen beide Typen – intro- und etravertierte Menschen – ihre je eigenen Stärken und Schwächen mit. Jedoch scheint es mir wichtig, auch einmal für uns introvertierte Partei zu ergreifen. Bleiben wir unserem bevorzugten Denken und Verhalten treu und nutzen die damit verbundenen Stärken, ohne uns dem vorherrschenden Kult der Extraversion unterzuordnen.


Bis bald

Stephan Arnold




EQ-Blog@iek.ch

[1] http://www.amazon.de/Still-Bedeutung-Introvertierten-einer-lauten/dp/3570500845/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1330880273&sr=8-1