Als Person mit einem vergleichsweise hohen Anteil Introversion muss ich mich auch einmal anstrengen, um gehört zu werden. Beim Selbstmarketing und „Socialising“ werde ich auf den ersten Blick vielleicht als eher zögerlich und zurückhaltend eingeschätzt. Ich habe aber auch die Erfahrung gemacht, dass man sich mit Stetigkeit und auf ruhigere Art und Weise ebenfalls Vertrauen und nachhaltige Beziehungen aufbauen und sich Gehör verschaffen kann. Lange habe ich gezweifelt, ob ich als eher introvertierte Person überhaupt das Potenzial zur Führungskraft mitbringe. Inzwischen bin ich überzeugt, dass mittel- und längerfristig die Qualität zählt und es dabei nicht primär auf die „Lautstärke“ und auf andere, mit Extroversion einhergehende Eigenschaften, ankommt.
Die „Qualität“ bzw. die erfolgsrelevanten Faktoren von Führungskräften liegen nicht in den Dimensionen Extraversion vs. Introversion begründet. Ronald E. Riggio beispielsweise legt in einem Artikel aufgrund empirischer Studien dar, dass Extraversion keine zwingende Eigenschaft von Führungskräften ist und es hauptsächlich auf die sogenannten social and emotional skills ankommt. „Recent research evidence suggests that while extraversion is predictive of many positive social outcomes, it may not be extraversion itself that matters. Instead, it may be possession of social skills or competencies that are better predictors of social outcomes than personality constructs such as extraversion.“ Einmal mehr wird hier auf die besondere Rolle von Empathie und emotionaler Intelligenz aufmerksam gemacht, wenn es um die Bestimmung der relevanten Erfolgsfaktoren von Führungskräften geht. „If extraverts make better leaders, why isn't Robin Williams president?“ lautet der Untertitel des Artikels von Riggio. Extravertierte Manager ohne EQ mögen es mit ihrer guten Show oftmals weit bringen, was aber nicht heisst, dass sie per se gute Führungskräfte sind. Mit gut ausgeprägten emotionalen und sozialen Kompetenzen hingegen kann eine introvertierte Person eine exzellente Führungskraft sein bzw. werden.
In Bezug auf die Führungskompetenz sind es Sozialkompetenzen und emotionale Kompetenzen, welche die mit Extraversion oder Introversion verbundene Eigenschaften zum grössten Teil überstrahlen. „Think of extraversion as a potential for social effectiveness—a sort of social "energy." But if the person lacks the social skills* to direct that energy, then the person will not be socially effective. Conversely, socially skilled intraverts should do well in social interaction, but in a more low-key manner.“ Im Umgang miteinander zählen letztlich die emotionalen und sozialen Kompetenzen und insbesondere gegenseitiges Verständnis und Authentizität. Bei diesen Eigenschaften glaube ich, doch mindestens im durchschnittlichen Bereich zu liegen und somit auch Führungsrollen angemessen wahrnehmen zu können.
Natürlich ist ganz allgemein weder Extraversion noch Introversion besser oder schlechter. Beide Eigenschaften sind mit je eigenen Stärken und Schwächen verbunden. In unserer lauten und schnellen Welt erlebe ich es aber schon so, dass Schlagfertigkeit eher belohnt wird, als Nachhaltigkeit, obwohl langsamere, stillere Zeitgenossen vielleicht reflektiertere und bessere Antworten geben könnten, wenn sie nur die nötige Zeit dazu bekämen. Vielleicht wird in Zukunft Innovationskraft weniger mit Aktionismus, Charisma weniger mit Showtalent oder Durchsetzungsvermögen weniger mit Dominanz gleichgesetzt und wir kommen einer „Gleichstellung“ zwischen Extravertierten und Introvertierten näher (so wie wir auch an einer Gleichstellung zwischen Frau und Mann arbeiten).
Zur Beantwortung der Frage im Titel: Auch wir Introvertierten können führen, wenn vielleicht auch etwas anders als Extrovertierte! Wichtig ist vor allem die notwendige Portion emotionaler Kompetenz.
Bis bald
Stephan Arnold
EQ-Blog@iek.ch
* „We break down social skills into two types of competencies: emotional competencies and social competencies.“
Können Introvertierte Führen? Teil I