15.02.2012

Emotionen – erleiden oder erleben?

Woran liegt es, ob wir einer Emotion passiv ausgeliefert sind oder ob wir sie bewusst und aktiv erleben – vielleicht sogar beeinflussen können? Gibt es einfach verschiedene Arten von Emotionen, die sich nicht alle gleich verhalten? Oder liegt es am Ende vielleicht auch ein bisschen an uns selbst?

Daniel Goleman hat den Begriff der emotionalen Intelligenz in den 90er Jahren so richtig populär gemacht und damit auch – zumindest indirekt - die wissenschaftliche Forschung beeinflusst bzw. deren wachsendes Interesse an dieser Thematik mit verursacht. So häufen sich erfreulicherweise seit einigen Jahren die Forschungsbeiträge rund um das Thema der emotionalen Welt. Doch gleichzeitig fällt die Bilanz heute noch ernüchternd aus. Aaron Ben-Ze’ev, ein führender Emotionsforscher, schätzt die aktuelle Situation beispielsweise wie folgt ein: „Emotionen spielen zwar eine zentrale Rolle in unserem Leben und sind für alle von Interesse. Gleichwohl gehören die Natur, die Ursachen und die Folgen von Emotionen zu den am wenigsten verstandenen Aspekten menschlicher Erfahrung“ (aus: Die Logik der Gefühle. Kritik der emotionalen Intelligenz, Suhrkamp, 2009).

Während die gegenwärtige wissenschaftliche Debatte über das, was Gefühle sind, stark von der aktuellen Hirnforschung dominiert wird, eröffnet ein zusätzliches Sich-Einlassen auf ältere philosophische Schriften einen überaus spannenden Einblick in Fragestellungen und Aussagen von überraschender Aktualität:

Eine der zentralen philosophischen Fragestellungen im Zusammenhang mit Emotionen besteht im sogenannten „Zurechnungsproblem“. So ist es unklar, ob wir einem Menschen eine Emotion als etwas zuschreiben können, das er irgendwie lenken oder kontrollieren kann und für das er letztlich auch die Verantwortung zu tragen hat. Emotionen haben diesbezüglich einen ziemlich ambivalenten Charakter. Einerseits scheinen sie Phänomene zu sein, die wir in der Tat steuern können, indem wir sie gezielt in uns entfachen oder mässigen. So können wir uns zum Beispiel ganz bewusst ein bestimmtes Musikstück anhören, von dem wir aus Erfahrung wissen, welche Emotion es in uns auslösen wird. Oder wir können zur Zeitung greifen und so viele Artikel wie möglich über exorbitante Managerlöhne lesen, bis wir zornig werden und zu schimpfen beginnen. Wir können aber auch versuchen, die komplexen ökonomischen Zusammenhänge zu verstehen und dadurch unseren Zorn allenfalls zu mässigen, oder wir können ganz einfach unsere Aufmerksamkeit wieder einem andern Thema zuwenden und dadurch ebenfalls unseren emotionalen Zustand verändern. Andererseits gibt es aber auch Emotionen, die uns quasi überfallen und die wir nicht beeinflussen können. Wer sich Hals über Kopf verliebt hat, wird von einem stürmischen Gefühl gepackt, das sich durch keine rationale Überlegung mässigen oder gar tilgen lässt – man ist diesem Gefühl einfach ausgeliefert.

Wie können aber Emotionen etwas sein, das wir einerseits aktiv hervorbringen und steuern können, andererseits aber auch etwas, das wir passiv erfahren und das uns geradezu überfällt? Gibt es zwei Arten von Emotionen – aktive und passive? Oder haben alle Emotionen einen aktiven und einen passiven Aspekt? Und wofür können wir verantwortlich gemacht werden: nur für die Emotionen, die wir selber steuern können? Doch wie weit reicht die Steuerbarkeit? Können wir quasi auf Knopfdruck den Zorn mässigen oder gar abstellen, indem wir eine geeignete Technik anwenden oder uns passende Gedanken machen? Oder gibt es auch hier ein Element, das der Kontrolle entzogen ist?

Stellvertretend für andere soll hier kurz am Beispiel von Baruch de Spinoza (1632-1677) aufgezeigt werden, wie man sich diesem Fragenkomplex in der Philosophie früher angenähert hat und welcher Beitrag zur aktuellen Debatte rund um die emotionale Intelligenz dadurch geleistet worden ist:

Spinoza unterscheidet grundsätzlich zwischen aktiven und passiven Emotionen, wobei er davon ausgeht, dass wir uns insofern von der „menschlichen Knechtschaft“ befreien können, als es uns gelingt, durch eigene rationale Tätigkeit aktive Emotionen hervorzubringen. Dadurch können wir die passiven Emotionen, die unwillkürlich in uns entstehen, abschwächen und im besten Fall neutralisieren. Die entscheidende Tätigkeit liegt dabei im Bilden von adäquaten Ideen und Erklärungszusammenhängen. Dazu ein Beispiel: Karl ist zunächst traurig, dass nur zwei Freunde an seiner Geburtstagsfeier erschienen sind. Dann bringt er allerdings aktiv in Erfahrung, dass die anderen geladenen Gäste leider verhindert sind, dass sie aber an ihn gedacht und sich am Geschenk beteiligt haben. Wenn Karl diese Informationen nun verbindet und einen Erklärungszusammenhang herstellt, kann er der passiven Traurigkeit eine aktive Freude entgegensetzen. Dabei liegt der entscheidende Punkt für Spinoza einzig darin, dass Karl aus seiner subjektiven Sicht in der konkreten Situation einen Erklärungszusammenhang herstellt. Selbst dann, wenn es ihm dadurch nicht sogleich gelingen sollte, eine emotionale Veränderung herbeizuführen, lohnt sich sein Aufwand, weil er sich dann nicht einfach in einem aufgezwungenen Zustand befindet, sondern einsieht, warum er sich in diesem Zustand befindet. Es macht also nach Spinoza einen entscheidenden Unterschied, ob ich einfach traurig bin und passiv darunter leide oder ob ich mich aktiv damit auseinandersetze und mir ein möglichst realistisches Bild davon machen kann, warum ich traurig bin. Wir sind zwar immer äusseren Einflüssen ausgesetzt und können uns diesen nie vollständig entziehen, aber wir haben immer auch die Möglichkeit, ihnen eine innere Aktivität entgegenzusetzen und damit unseren emotionalen Zustand zu verändern. Emotional intelligent handelt somit, wer dem passiven Erleiden von Emotionen ein aktives Generieren von neuen Emotionen entgegensetzen kann, indem er möglichst adäquate Erklärungszusammenhänge zu den passiven Emotionen bildet.

Bis bald

Bob Schneider

EQ-Blog@iek.ch